„Wir können über jede Saison dankbar sein“

Sebastian Züll mischte vergangene Saison mit der Damenmannschaft die Kreisliga A auf. Den Esprit der Vorsaison scheint man allerdings verloren zu haben. Aktuell steckt man im Niemandsland der Tabelle fest. Nun spricht der 41-Jährige im Interview über seine bisherige Amtszeit beim SVM, reflektiert über die erste Saisonhälfte, gewährt einen tiefen Einblick in die Kaderplanung und gibt einen Ausblick in die Zukunft.

Du hast das Traineramt der Mutscheider Frauenmannschaft zur ersten Coronasaison 2019/20 übernommen. Wie kam der Kontakt zustande und was waren die Gründe dafür, dass du diese Aufgabe letzten Endes angenommen hast?

Züll: Der “Erstkontakt” beziehungsweise die unmittelbare Anfrage kam 2019 bei einem FZM-Turnier in Mutscheid zustande. Ich spielte im Team der Damen mit. Kurz zuvor hatte Günter Velten angekündigt sein Traineramt zum Saisonende aufzugeben. Dementsprechend wurde ein Nachfolger gesucht. Da meine Freundin aktive Spielerin war und ist und ich aus meiner aktiven Zeit bei der SG Mutscheid/Effelsberg noch einige Leute kannte, war dann nach ein paar gemeinsamen Kleinfeldspielen sowie zwei, drei Bier später die Einigung da.

 

Du bist also schon ein Stück lang im Verein und hast dementsprechend einiges miterlebt. Prägend war bestimmt die ganze Situation um die Hochwasserkatastrophe im Jahre 2021 bei der auch euer Platz an der Hardtbrücke in Mitleidenschaft gezogen wurde und seitdem unbespielbar ist. Wie kommt ihr mit dem Umzug auf die Plätze in Houverath und Effelsberg zurecht?

Züll: Die Flutkatastrophe hat bei uns in der Mannschaft, aber auch im privaten Umfeld der Spielerinnen, einiges auf den Kopf gestellt. Allerdings habe ich das Gefühl, dass das Ganze die Mannschaft eher mehr zusammengeschweißt hat. Wir haben nach der Flutnacht, die kurz nach dem Vorbereitungsstart war, erst einmal drei Wochen Pause gemacht. Mit zweiwöchiger Vorbereitung sind wir dann in die Saison gestartet. Mit dem Umzug nach Houverath sind wir in der Sache sehr gut klargekommen. Man ist uns auch in vielen Dingen entgegengekommen. Wir können beispielsweise neben dem Platz die Sporthalle mitbenutzen, was uns gerade im Winter sehr hilft. Allerdings ist Houverath ein enormer Standortnachteil, da wir einige Spielerinnen aus dem Mechernicher Raum haben, die eine weite Anfahrt auf sich nehmen müssen.

 

In deiner ersten Saison hattet ihr einen Punkteschnitt von 1,94, in deiner zweiten Saison von 1,8, in der dritten Saison von 2,09 und in der aktuellen Saison von genau 1. Dementsprechend spielt ihr momentan, wenn man rein auf die Zahlen schaut, die schlechteste Saison deiner bisherigen Amtszeit. Was sind die Gründe, dass ihr aktuell nicht die gewünschten PS auf den Platz bringt?

Züll: Da lohnt es sich die Situation etwas näher zu betrachten. Die ersten beiden Spielzeiten wurden jeweils coronabedingt abgebrochen. Zum Zeitpunkt des ersten Abbruchs stand uns für die Rückrunde noch ein Kader von 14 Spielerinnen zur Verfügung. Der zweite Abbruch erfolgte nach fünf Spielen. Das heißt, dass hier nur spekuliert werden kann wie sich der Punkteschnitt entwickelt hätte. Die letzte Saison wiederum war überragend und so absolut nicht zu erwarten. Nach einer soliden Hinrunde spielten wir eine bärenstarke Rückrunde. Einer zielgerichteten Vorbereitung folgten die ersten drei Spiele mit der optimalen Punktausbeute gegen Mannschaften, die uns zum damaligen Zeitpunkt unmittelbar verfolgten (Ländchen/Sieberath, Nöthen-Pesch-Harzheim, Pulheim). Aber wie das meistens so ist: Wenn es einmal läuft, dann läuft es. Der Rest sollte dann Zugabe sein. Die erste Zugabe war ein 5:1 in Bergheim, die letzte Zugabe ein 3:0 zu Hause gegen den Aufstiegsfavoriten aus Brauweiler. Im Sommer folgte dann ein personeller Umbruch. Wir mussten drei Erfolgsgaranten der vergangenen Rückrunde verabschieden. Melanie Zimmermann, die uns während ihres Deutschlandaufenthaltes ein Jahr lang unterstützte, zog beruflich in die Schweiz. Sie spielt dort aktuell in der 2. Liga beim Team Furttal Zürich. Die landesligaerfahrene Chantal Hirtz musste ihre Laufbahn gesundheitsbedingt beenden und Sabrina Larscheid, die uns ebenfalls während ihrer Deutschlandaufenthalte unterstützte, ging wieder zurück in die USA. Sie spielt dort von nun an College Fußball. Nach geglücktem Start (Sieben Punkte in den ersten drei Spielen) mussten wir dann weitere Abgänge verkraften. Mit Jennifer Schneider und Alexandra Steffens zogen sich zwei weitere absolute Leistungsträgerinnen aus familiären Gründen aus dem Geschäft zurück. Alleine diese Erfahrung kann fußballerisch leider nicht kompensiert werden.

 

Dann kam zum Ende dieser durchwachsenen Hinserie die erste Niederlage im Lokalderby gegen Nöthen-Pesch-Harzheim hinzu.

Züll: …die sich leider angedeutet hatte. In der Vorwoche war es gegen Erp noch fehlendes Glück in der Chancenverwertung. Gegen Nöthen war es einfach in allen Aspekten zu wenig. Auch hier ist es dann das bekannte Muster: Wenn es nicht läuft, dann läuft auch nichts. In einem schwachen Spiel beider Mannschaften kassierten wir nach einer Ecke in den ersten zehn Minuten das 0:1. Daraufhin fanden wir den Rest des Spiels keine Antwort. In 80 Minuten schafften wir es nur einmal auf das gegnerische Tor zu schießen und das auch noch durch eine eigentliche Abwehrspielerin, die im zentralen Mittelfeld eingewechselt wurde. Es fehlte irgendwie an allem, an Ideen, am Drive in der Offensive – ein gebrauchter Tag eben.

 

„Ich glaube eher, dass die ein oder andere eher angestachelt wurde, den Blick wieder etwas nach oben zu richten.“

– Sebastian Züll

 

Wie kommen deine Spielerinnen mit dieser schon fast ungewohnten Tabellensituation zurecht?

Züll: Wir sind wie gewohnt mit einer legeren Erwartungshaltung in die Saison gegangen. Wir wussten, dass die Liga stärker geworden ist. Alleine vier Mannschaften (Bedburg, Glessen, Rheinsüd und Bergheim) ist der Aufstieg ohne weiteres zuzutrauen. Mit Fischenich und Efferen kamen zwei Bezirksligaabsteiger dazu. Das heißt, dass wir uns von Anfang an im Mittelfeld sahen. Meinem Empfinden nach hat die Tabellensituation keinen negativen Einfluss auf die Einstellung. Ich glaube eher, dass die ein oder andere eher angestachelt wurde, den Blick wieder etwas nach oben zu richten.

 

Bleibt es beim Plan einen Mittelfeldplatz anzupeilen?

Züll: Unter normalen Umständen sind die ersten sechs Plätze für uns nicht realistisch, daher war das Ziel ein einstelliger Tabellenplatz – im optimalen Fall Platz 7. Wenn alles gut läuft und wir optimal in die Rückrunde starten, kann Platz 8 am Saisonende noch machbar sein, dafür muss aber alles passen. Darüber hinaus gilt: ansehnlichen Fußball spielen, Spaß haben und zusammenhalten.

 

Allerdings hatte ihr neben euren Abgängen auch fünf Neuzugänge zu verzeichnen (namentlich: Alexandra Polzin, Sara Akkermann, Amelie Gümpel, Luca Marie Mertens, Jana Schmitz). Wie machen sich die neuen Spielerinnen?

Züll: Alexandra wird uns leider nicht unterstützen können. Sie hat ihre Laufbahn verletzungsbedingt beenden müssen. Die anderen vier haben, bevor sie zu uns gewechselt sind, lediglich auf Kleinfeldern gespielt – Luca und Amelie zuletzt in der Jugend, Sara und Jana in einer Freizeitmannschaft. Aber dafür muss man sagen, haben sie sich sehr schnell an die Größe des Feldes und die entsprechenden Anforderungen gewöhnt. Amelie hat durch solide Leistungen und konstanten und zuverlässigen Einsatz im Training sogar schon den Sprung in die Stammelf geschafft.

 

Apropos Neuzugänge, wird sich in dieser Winterpause bei euch noch irgendwas bei der Abgangs- oder Zugangsseite tun?

Züll: Mit Vanessa Lodzinski konnte eine Spielerin aus der aufgelösten Dirmerzheimer Mannschaft hinzugewonnen werden. Da sie aber lange verletzt war, muss man ihr etwas Zeit geben und schauen, wie sie sich entwickelt. Auf der Abgangsseite gibt es aktuell, zum Glück, keine Neuigkeiten.

 

Wie sieht nun bei euch die Vorbereitung auf die Rückrunde aus bei der ihr sicherlich den Bock umstoßen wollt?

Züll: Ich möchte es mal so formulieren: Bisher ist die Beteiligung sehr überschaubar. Ich wünschte mir schon die ein oder andere etwas öfter zu sehen, aber die Trainingsleistungen an sich sind gut. Die Mädels vor Ort sind engagiert, motiviert und lernwillig.

 

Euer Trainerteam ist relativ groß. Ihr habt mit Johannes Axer einen Co-Trainer, mit Stephan Winnen einen Torwart-Trainer und mit Norbert Siebert einen Betreuer, der als Institution schon jahrelang im Verein tätig ist. Wie sieht die Aufgabenverteilung unter euch aus?

Züll: Johannes ist auswärts- und schlechtwetterscheu (lacht). Bei gutem Wetter soll er, der selbst immer ein guter Techniker gewesen ist, vor allem technische Grundlagen vermitteln. Stephan trainiert hauptsächlich die Torhüterinnen, sofern Familie und Beruf das zeitlich zulassen. Ein 100% zuverlässiger Kollege. Er vertritt mich auch dann, wenn ich mal nicht da bin. Norbert ist der Mann für alle Fälle und für organisatorische Dinge zuständig. Leider hat er sich in den letzten zwei Jahren etwas zurückgezogen, was zum größten Teil mit der Flutkatastrophe zu tun hatte. In der ersten Zeit nach der Flut musste er beruflich nach Hamburg pendeln, da lag sein Job bei uns auf Eis. Zum Glück kommt er aber wieder mehr mit hinzu. Mit seiner emphatischen Art ist er für die gute Stimmung unverzichtbar

 

„Langfristig wird es leider sehr finster, aber nicht nur für uns, sondern für den gesamten Kreis Euskirchen.“

– Sebastian Züll

 

Wenn wir auch etwas weiter in die Zukunft schauen: Plant ihr kurz-, mittel- oder langfristig einen Angriff auf den Aufstieg? Diese Saison backt ihr etwas kleinere Brötchen, habt aber in den vergangenen Jahren konstant im oberen Tabellendrittel mitgespielt.

Züll: Nein, das gibt unsere Kaderbreite nicht her. Wir haben einen vergleichsweise kleinen Kader und sind oft dünn besetzt. Wir spielen des Öfteren im sogenannten Norweger-Flex Modell. Das heißt, dass wir vor jedem Spieltag je nach Personalsituation entscheiden können, ob wir mit neun, zehn oder elf Leuten spielen. Der Gegner muss sich dann dementsprechend anpassen. Mittelfristig werden wir uns eher weiter von den Plätzen an der Sonne entfernen. Wir haben einfach nicht die Möglichkeiten, die die Mannschaften im Rhein-Erft-Kreis haben. Beispiel Bedburg: Deren Mannschaft wurde vor der Saison erst gegründet, besteht aber zur Hälfte aus ehemaligen Regionalliga- und Juniorenbundesligaspielerinnen. Langfristig wird es leider sehr finster, aber nicht nur für uns, sondern für den gesamten Kreis Euskirchen. Es gibt kaum Nachwuchsmannschaften. Zudem macht uns die demografische Entwicklung hier auf dem Land sehr zu schaffen. Wenn überhaupt, wird es meiner Einschätzung nach in fünf bis sechs Jahren nur noch ein oder zwei Mannschaften im Kreis geben, die diesen Trend überleben. Wir können über jede Saison, in die wir mit der Mannschaft starten können, sehr dankbar sein und schauen auch eigentlich nur von Jahr zu Jahr.

 

Und was ist mit deiner persönlichen Zukunft?

Züll: Ich schaue nur von Jahr zu Jahr. Da die letzten vier Jahre auch an mir, wie eigentlich an jedem Trainer, für die ein oder andere Verschleißerscheinung gesorgt haben, werde ich versuchen, die Mannschaft optimal auf die Rückrunde vorzubereiten und mir dann im Frühjahr ausführlich darüber Gedanken machen, ob und wie es über den Sommer hinaus für mich weitergeht.

 

Im vergangenen Sommer hat der Frauenfußball in Deutschland durch die EM 2022 einen regelrechten Hype erlebt. Hat der damalige EM-Sommer irgendwelche Spuren hinterlassen?

Züll: Da wurde medial vieles schöngefärbt. Es gab einen Hype, der allerdings hauptsächlich vor dem Bildschirm stattfand. Wenn es dann darum geht, selbst etwas zu tun und raus auf den Platz zu gehen, sieht das wieder ganz anders aus. Von der Euphorie ist auf den Plätzen rein gar nichts übrig geblieben – im Gegenteil! Die Entwicklung ist erschreckend. Nach einer jahrelangen positiven Entwicklung geht es mittlerweile immer weiter bergab. Um die Jahrtausendwende gab es im Kreis Euskirchen längere Zeit drei Frauenfußballstandorte: Rotbachtal, das Maß aller Dinge, Pesch/Harzheim (später Nöthen-Pesch-Harzheim) und das langsam wieder aufkommende Kommern. Im Lauf der Jahre gründeten sich immer mehr Mannschaften, die sogar über mehrere Jahre in einer eigenen Kreisliga Euskirchen starten konnten. Alles was heute noch an Mannschaften übrig geblieben ist, stagniert oder entwickelt sich rückläufig. Oleftal gibt nächste Saison den Landesligastartplatz ab und startet unter dem Dach des TuS Zülpich in der Kreisliga. Erfthöhen und Wißkirchen müssen den Blick in der Bezirksliga mehr und mehr nach unten richten. Wir müssen kleinere Brötchen backen, Ländchen/Sieberath und Nöthen stagnieren im Mittelfeld. Bessenich steht kurz vor dem K.O.. Dort finden sich aktuell im Schnitt nur acht bis neun Spielerinnen pro Woche, die die Spiele bestreiten können. Von daher aber höchster Respekt, dass die Mannschaft noch aufrechterhalten werden kann und Woche für Woche motiviert ist. Nur Füssenich Geich trotzt dem Trend. Sie befinden sich momentan als Aufsteiger auf dem zweiten Tabellenplatz der Bezirksliga. Aber auch hier bleibt abzuwarten, wie sich das Ganze in den nächsten Jahren ohne eigenen Nachwuchs entwickelt. Kurz und (un-)gut: Eine wirkliche, mittel- bis langfristige Perspektive, zumindest in der Breite, scheint im Kreis Euskirchen nicht da zu sein.

 

Vielleicht erreichen wir mit dem Interview auch Frauen, die überlegen mit dem Fußball anzufangen oder nach einer neuen Erfahrung suchen. Was macht eure Mannschaft aus? Warum sollten sich Spielerinnen dazu entscheiden zu euch in die Mannschaft zu stoßen?

Züll: Wir sind eine motivierte Mannschaft, die jede Altersklasse (vom Teenageralter bis in die Mittdreißiger) besetzt. Wir versuchen den Spaß auf dem Platz auch in die dritte Halbzeit mitzunehmen. Bei uns ist jede willkommen, ob Anfänger oder erfahren. Darüber hinaus ist der SV Mutscheid ein toller Verein, eine lokale Größe mit langer Tradition, und in dieser Tradition wäre es doch vielleicht schön, etwas längerfristiges zusammen zu gestalten!

 

Artikel bei FuPa: https://www.fupa.net/news/wir-koennen-ueber-jede-saison-dankbar-sein-2926204

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